Prozesstag #1

29.01.2019

Tag 1 – Anklageverlesung

Heute fand der erste Prozesstag im Landgericht Lüneburg gegen Ramadan statt, der sich rein der Anklageverlesung widmen sollte. Für uns, als Unterstützer*Innen-Kreis von Ramadan, war dies somit der Start der kritischen Prozessbeobachtung in diesem Verfahren. Unsere Eindrücke schildern wir im Folgenden. Diese Protokolle erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind aus subjektiver Sicht geschrieben.

Doch der Reihe nach…

Um 08:45 Uhr versammelten sich rund 50 Personen auf dem Marktplatz Lüneburg. Vor dem Eingang des Landgerichts, direkt neben der hiesigen Justizvollzugsanstalt (JVA), in der nur Menschen während ihrer Untersuchungshaft einsitzen, wurde ein Banner mit der Aufschrift „Solidarität mit Ramadan – Vor dem Stein war ein rassistischer Angriff – Kritische Prozessbeobachtung“ gezeigt. Es war schön zu sehen, wieviele Menschen sich an diesem Morgen mit Ramadan solidarisierten, insbesondere die vielen Freunde von ihm aus der sudanesischen Community. Neben einem rassistischen Kommentar eines vorbeifahrenden Passanten, gab es auch einige positive Rückmeldungen von Menschen, die sich interessiert zeigten.

Ein zwischenzeitlich an uns vorbeigeführter Mensch in Handschellen, sowie ein Gefangenen-Transporter, prägte im weiteren die Stimmung und ließen erahnen, wie sich der erste Prozesstag entwickeln würde.

Durch die vom Gericht angeordneten „besonderen Sicherheitsvorkehrungen“ wurde der Einlass ab 09.30 Uhr durch einen Nebeneingang geregelt, wo sich ab 09:15 Uhr eine lange Schlange der Unterstützer*innen bildete. Ein Justiz-Beamter machte alle Anwesenden darauf aufmerksam, dass sie einzeln nacheinander hereingelassen würden. Durch die im Gebäude vollzogenen intensiven Durchsuchungen aller Besucher*Innen, zog sich die Wartezeit stark in die Länge. Während Pressevertreter*Innen sowie Prozessbeteiligte schneller hineingelassen wurden, fand sich auch der Nebenkläger mit Begleitung vor dem Einlass ein und fiel durch abfällige Kommentare auf. Dieser im Prozess als Geschädigter auftretender Nebenkläger, der jedoch für die ganze Auseinandersetzung als rassistischer Aggressor mitverantwortlich ist, erschien überheblich auf der einen Seite, unsicher auf der anderen.

Im Gegensatz zu den von den in der Lünepost beschriebenen Befürchtungen, dass „weitere Auseinandersetzungen wohl nicht ausgeschlossen werden können“, entlarvte das Fehlen jeglicher Sicherheitsbeamt*innen in dieser Situation das heraufbeschworene Bedrohungsszenario als glatte Inszenierung.

Ganz anders verhielt es sich dann jedoch nach dem Einlass. Nach der Kontrolle des Personalausweises erfolgte eine intensive Leibesvisitation, die das Niveau von Flughafenkontrollen bei weitem übertraf. Sämtliche Gegenstände mussten abgegeben werden, sodass nicht einmal das für eine gute Prozessbeobachtung benötigte Material von Papier & Stift mitgenommen werden durfte.

Das geschilderte Prozedere erwies sich abermals als inkonsequente Inszenierung, da in dem Bereich des Gerichtssaals, in dem die Zuhörenden saßen und der durch eine Glasscheibe vom restlichen Saal getrennt war, kein*e Beamt*innen zugegen waren obwohl Unterstützer*innen beider Seiten anwesend waren.

Im Gerichtssaal anwesend waren neben dem vorsitzenden Richter zwei beisitzende Richter, sowie 2 Schöffen. Weiterhin war bei unserem Eintreffen bereits der Staatsanwalt und eine Protokollantin des Gerichts zugegen, sowie der Nebenkläger mit seinem Anwalt. Letzterer wirkte äußerst selbstgefällig und schien dem Staatsanwalt bereits bekannt zu sein, sodass beide sich gut gelaunt unterhielten. Auf der anderen Seite saß eine der beiden Anwältinnen von Ramadan mit der Arabisch-Dolmetscherin. Zuletzt befanden sich eine Handvoll Sicherheitsbeamte sowie Pressevertreter*innen im Saal.

Als Ramadan in Handschellen hereingeführt wurde, waren alle Kameras auf ihn gerichtet. Er schützte sich, so gut es ging, durch das Hochhalten einer grünen Mappe vor dem nicht enden wollenden Blitzlichtgewitter, allerdings war dies durch seine Handschellen besonders erschwert.

Obwohl der Zuhörerraum aufgrund der langwierigen Sicherheitskontrollen nicht einmal zur Hälfte besetzt war, wurde die Verhandlung durch den Richter eröffnet. Dies hatte zur Folge, dass die Verhandlung nicht für alle Interessierten öffentlich zugänglich war und nach Eröffnung der Verhandlung nur noch mindestens 5 weitere Personen den Besucherraum betreten durften, teilweise jedoch erst 3 Minuten vor Ende der Verhandlung. Alle anderen mussten draußen bleiben, obwohl mehr als genug Platz vorhanden war. Hier muss deutlich der implizite Ausschluss weiter Teile der Öffentlichkeit kritisiert werden, obwohl das Interesse an der Verhandlung offensichtlich war. Hinzu kam, dass für die anwesenden Zuhörer*innen das Folgen des Verfahrens durch nicht ausreichende Mikrofonausstattung weiter erschwert wurde.

Nach der Vereidigung der Schöffen und der Dolmetscherin, musste die Verteidigung den Richter zunächst daran erinnern, Ramadan die Handschellen abnehmen zu lassen. Diesem stimmte er in einer übertrieben wohlwollenden Art und Weise zu.

Dann wurde Ramadan zu seiner persönlichen und beruflichen Situation befragt. Nachdem Ramadan, die Frage des Richters, ob er denn einen Beruf ausübe, verneinte, konstatierte dieser auf eine leicht spöttische Art, dass jegliche Form der Wissensaneignung im Sudan wohl ausgeblieben sei. Auch die Feststellung, dass Ramadans derzeitiger „Wohnort“ die JVA Lüneburg sei, erfolgte durch den Richter mit einem Grinsen.

Es folgte die Anklageverlesung des Staatsanwalts, in welcher wie bereits erwartet, jeglicher Kontext außen vor gelassen und damit der Eindruck hinterlassen wurde, Ramadan hätte lediglich aus reiner Bosheit gehandelt. Spekulative Elemente in der Anklage unterstellten Ramadan eine „billigende Inkaufnahme einer Tötung“. Letztere käme daher, dass einer der rassistischen Aggressoren, am Boden liegend, in einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem Freund des Angeklagten gewesen sei und daher keine Hände zur Verfügung gehabt hätte, als der Angeklagte den Stein in seine Richtung warf. Details über die Situation der am Boden kämpfenden wurden genauso wie der rassistische Angriff zu Beginn der Auseinandersetzung in der Anklageschrift gezielt verschwiegen und somit die Möglichkeit den Steinwurf in ein anderes Licht zu rücken, verstellt. Aus unserer Sicht spielen diese Faktoren jedoch eine besondere Rolle für Ramadans Verhalten und seine Entscheidung, einen Stein zu werfen. Als eines unter mehreren, zeigt bereits dieses Beispiel, dass die Anklage jegliche Kontextualisierung des vorhergegangenen Konflikts mit rassistischem Auslöser außer Acht lässt.

Die Anklageverlesung endete um 10.15 Uhr. Die formale Nachfrage auf eine Einlassung Ramadans auf die Anklage, wurde durch seine Verteidigung vorerst verneint.

Nach kurzer Verwirrung über einen Mann, der fälschlich auf der Pressebank saß, jedoch eigentlich als Gutachter geladen war, schloss der Richter um 10.18 Uhr den ersten Verhandlungstag.

Nach nur diesen ersten Verfahrensminuten sowie den sonstigen Eindrücken, sind wir umso mehr überzeugt, dass es einer unabhängigen Prozessbeobachtung und kritischen Öffentlichkeit bedarf. Weiterhin erfordern die nächsten Verhandlungstage wegen des zu erwartendem Erscheinen von Zeug*innen, des Nebenklägers sowie deren Unterstützer*innen, einer noch stärkeren Teilnahme von uns und Euch im Gericht und davor.

Ramadan hat sich für die Unterstützung im Saal und außerhalb bedankt und freut sich, wenn wir den Prozess weiterhin begleiten. Zeigt Euch solidarisch, in welcher Form auch immer.

Wir sehen uns am 06.02. um 08:45 Uhr vor dem Landgericht Lüneburg!

Und weiterhin gilt:

Um die Kosten für die Verteidigung im anstehenden Prozess, sowie weitere Ausgaben zu decken, werden in nächster Zeit mehrere Tausend Euro benötigt. Dafür sind wir auf euren Soli-Beitrag angewiesen. Lasst uns gemeinsam Ramadan und andere von Rassismus Betroffene in ihrem Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit unterstützen.

Spendenkonto

Betreff: Solidarität mit Ramadan

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