Ein Freispruch bedeutet nicht Gerechtigkeit!

Am letzten Verhandlungstag wurden die Plädoyers der Anwältinnen von Ramadan und der Staatsanwaltschaft vorgetragen. Die Anwältinnen plädierten für eine ambulante Therapie und eine intensive Begleitung und Unterstützung Ramadans. Eine Verwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §63 StGB könne zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Staatsanwalt hingegen plädierte für eine Verwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach §63 StGB ohne Bewährung. Das Gericht folgte schließlich dem Plädoyer des Staatsanwalts mit der Begründung, dass Ramadan zwar nicht schuldfähig war, entsprechend also freizusprechen sei, eine wiederholte Retraumatisierung in einer Situation wie der an der Bleckeder Landstraße aber in jedem Fall nicht auszuschließen sei. Deshalb sei die Verwahrung in einem psychiatrischen Krankenhaus unabdinglich. Wir sehen dieses Urteil nicht als konstruktive Problemlösung, sondern als ein repressives Wegsperren. Anstatt Ramadan als Menschen zu betrachten, haben die Richter ihn auf unbestimmte Zeit zu einer Gefahr für die Allgemeinheit erklärt.

Der Gutachter Prof. Dr. Wielant Machleidt, der eigens vom Gericht bestellt wurde, ist Experte für interkulturelle Psychiatrie sowie für Früherkennung und -behandlung psychischer Erkrankungen bei Migrant*innen. Von 1994 bis 2010 war er Leiter des Referats für Transkulturelle Psychiatrie und Migration der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) und ist Ehrenvorsitzender des Ethnomedizinischen Zentrums Hannover (EMZ). Auf die explizite Nachfrage, ob eine stationäre Therapie sinnvoll sei, entgegnete er, dass die ambulante psychotherapeutische Traumatherapie vorzuziehen sei, da sie wesentlich bessere Heilungschancen biete. Auch deshalb, weil Ramadan so nicht aus seinem bekannten sozialen Umfeld entrissen würde. Es ist ein Skandal, dass das Gericht seinem eigens beauftragten Gutachter, welcher langjähriger renommierter Experte auf diesem Gebiet ist, nicht folgt. Denn wie die Verteidigung erläuterte, hätte die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus auch zur Bewährung ausgesetzt werden können.

Die richterliche Begründung des Urteils ist für uns höchst problematisch. Heißt es doch zu Ende gedacht, dass Ramadan dafür verantwortlich gemacht wird, wenn andere ihn rassistisch angreifen oder bedrohen und somit ein Szenario schaffen, das seine Retraumatisierung begünstigt. Da bei Ramadan die Gefahr drohe, in der Retraumatisierung die Fähigkeit zur Einsicht sowie zur Steuerung seiner Handlungen zu verlieren, wird er selber zur Gefahr erklärt. Auf den Kontext eines rassistischen Übergriffs übertragen, klingt dieses Urteil in etwa so: Gefährlich sind nicht die, die rassistisch beleidigen und körperlich angreifen, sondern die, die das Ganze nicht über sich ergehen lassen und womöglich die Kontrolle verlieren könnten.

Das Urteil setzt damit die Art und Weise fort, wie der Prozess seitens der Staatsanwaltschaft und der Richter geführt wurde. Nämlich mit einer Missachtung des gesamten rassistischen Kontextes. Es ist bezeichnend für diesen Staat, dass ein Polizist von Amts wegen eine Anzeige wegen eines angeblich sexualisierten Übergriffs einleitet, obwohl in den angehängten Akten klar ersichtlich ist, dass die vermeintlich Betroffene klar und deutlich sagt, dass sie nicht angefasst wurde. Zeitgleich hält derselbe Polizist es nicht für nötig, von Amts wegen eine Anzeige wegen rassistischer Beleidigung zu stellen.

Nur weil es eine sehr engagierte Verteidigung und eine kritische Prozessbeobachtung gab, wurde der zugrunde liegende Rassismus des Vorfalls überhaupt erst behandelt und versucht politisch aufzuarbeiten. Weder die Richter noch der Staatsanwalt bemühten sich darum, den Vorfall in den Kontext eines rassistischen Übergriffs zu stellen. Zudem wurde die kritische Prozessbeobachtung durch das Gericht systematisch versucht zu unterbinden, indem von Beginn bis zum Ende des Prozesses das Mitführen jeglicher Schreibutensilien verboten sowie eine intensive Leibesvisitation durchgeführt wurde. Das führte zu langen Schlangen vor dem Eingang, wodurch Menschen teilweise erst nach Beginn der Verhandlung den Besucher*innenraum betreten konnten.

Das ist keine Seltenheit, sondern Normalität und hat System, wie bereits Schlueter und Schoenes in ihrer wissenschaftlichen Arbeit „Zur Ent-Thematisierung von Rassismus in der Justiz“ feststellten: „…[Es] äußert sich Rassismus in der Justiz auch verdeckt, wenn nämlich rassistische Handlungen, die im Vor- oder Umfeld des aus Sicht des Gerichts ‚eigentlich‘ relevanten Geschehens passiert sind, als nicht verfahrensrelevant aus dem Verfahren ausgeschlossen werden“ (Schlueter, Schoenes (2016): „Zur Ent-Thematisierung von Rassismus in der Justiz“).

Folgt das Urteil hier dem gesellschaftlichen Ruf nach dem „starken Staat „, indem es vermeintlich „kriminelle Ausländer*innen“ wegsperrt? Oder wäre das Urteil ein anderes gewesen, wenn Ramadan weiß wäre? Wir wissen es nicht. Fest steht für uns nur eins: Egal ob Schuld- oder Freispruch, Gerichte können keine Gerechtigkeit schaffen.

Freiheit für Ramadan! Gemeinsam gegen Rassismus in Lüneburg und überall!

Nach dem Prozess stehen wir vor immens hohen Verfahrenskosten sowie den Kosten für die Anwältinnen. Mehrere Tausend Euro sind noch offen und wir brauchen dringend (!) eure finanzielle Unterstützung. Lasst uns gemeinsam Ramadan und andere von Rassismus Betroffene in ihrem Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit unterstützen!

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